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5. USENET als soziales System

Die Versuche, das Internet selbst oder das Massenphänomen World Wide Web in ihrer gegenwärtigen Ausprägung als soziales System zu fassen, sind fehlgeschlagen. Dabei fiel bei letzterem besonders das Fehlen von strukturell stabiler Selbstorganisation auf. Gerade darüber verfügt jedoch ein weiterer Netzdienst in besonderem Maße, der einem auch bei der Recherche über das Internet immer wieder begegnet, was seine nicht zu unterschätzende Bedeutung für unseren Gegenstand vielleicht stärker belegt, als die weit hinter dem WWW zurückbleibende Zahl seiner Nutzer.

5.1 Kurze Einführung in das USENET

USENET (man begegnet auch der Bezeichnung ,,Netnews") entstand ursprünglich als eine Art ,,Internet für Arme" (,,poor man´s internet"). Gegen Ende der 70er Jahre war es nur wenigen Hochschulen und Forschungseinrichtungen möglich, eine direkte Anbindung an das ARPANET zu unterhalten. Um auch anderen Institutionen und deren Mitgliedern elektronisch gestützte Diskussions- und Kommunikationsmöglichkeiten zu bieten, entwickelten 1979 zwei graduierte Studenten in North Carolina ein Programm, das für die Weiterverbreitung von Nachrichten nur auf eine gelegentliche Verbindungsaufnahme der beteiligten Verbreitungsrechner (die sogenannten ,,News-Server") angewiesen war.98 Dies konnte auch über einfache und kostengünstige Telefonverbindungen realisiert werden, während der Zugriff auf die News-Server über die damals bereits vorhandenen lokalen Netze unproblematisch war.99

Jeder Diskussionsbeitrag wird in Form einer E-Mail an einen News-Server geschickt, der sie speichert und mit mindestens einem anderen News-Server Verbindung aufnimmt, um den Gesamtbestand aller Beiträge mit diesem abzugleichen. Ohne daß auf eine zentrale Koordination zurückgegriffen wird oder weite Strecken direkt (und entsprechend teuer) überbrückt werden müssen, ist so Weiterleitung und Verfügbarkeit neuer Beiträge auf jedem in dieses Weiterleitungsnetz eingebundenen News-Server möglich. Das kann jedoch selbst heute noch ein bis zwei Tage dauern, synchrone Kommunikation ist also nicht möglich.100 Der größte technische Vorteil dieser Funktionsweise ist die lokale Verfügbarkeit der ,,Artikel" oder ,,Postings"101, was die Übertragungszeiten beim Zugriff auf das USENET verbessert und die zur Verminderung des Datenverkehrs durch Vermeidung mehrfacher Übertragung identischer Daten führen kann. Außerdem ermöglicht das netzwerktechnisch anspruchslose Design, das nicht einmal Internet-Funktionalität voraussetzt, auch die kostengünstige Einbindung nicht dauerhaft mit dem Internet verbundener Computersysteme. So ist auch in infrastrukturell schlecht versorgten Regionen, Entwicklungsländern oder auch in nichtkommerziellen Mailbox-Netzen102 der Zugang zu Internet-E-Mail und USENET möglich.103

Das USENET präsentiert sich dem Anwender als hierarchisch nach Themen strukturiertes Register, um bei einer bereits im Zusammenhang mit dem WWW eingeführten Metapher zu bleiben.104 Artikel werden in sogenannten ,,Newsgroups" zusammengefaßt, deren Themenspektrum eng genug sein muß, um die Leser nicht mit zu vielen irrelevanten Artikeln zu belästigen; sie müssen jedoch auch weit genug gefaßt sein, um regelmäßige Beiträge in ausreichendem Maß auffangen zu können. Die Bezeichnungen der Newsgroups geben bereits einen ersten Hinweis auf das relevante Themenspektrum, soweit es ihre Kürze zuläßt. Sie bestehen in der Regel aus der mit Punkten getrennten Verkettung von zwei bis acht (oder auch mehr) Kürzeln, die dieses Spektrum von links nach rechts mehr und mehr einschränken, in der Register-Metapher also die Bestimmung von Schrank, Fach, Schublade und Ablagemappe erlauben.105

Entschließt sich ein Anwender für den Bezug einer Newsgroup, dann wird ihm zunächst ein Verzeichnis aller vorhandenen Artikel übermittelt. Darin wird jeder Artikel durch eine Absender-, Datums- und Betreffangabe beschrieben (,,Header")106, woraufhin sich der Leser für die Übermittlung des gesamten Textes (,,Body") zur darauffolgenden Lektüre entscheiden kann. Da die meisten Newsgroups den Charakter von Diskussionsgruppen besitzen, sind die Artikel oft Antworten auf andere Artikel. Für den Leser ist dieser Zusammenhang sofort visuell durch Einrückungen und entsprechende Anordnung der Artikel erkennbar,107 die Lektüre kann so selektiv anhand von thematischen Bezügen bzw. diskursiven Zusammenhängen (,,Threads") erfolgen. Es bleibt noch zu erwähnen, daß die Artikel in der Regel nur einmal gelesen werden, da das für die Lektüre verwendete Programm jeden Anzeigevorgang registriert, und den Benutzer bei der Auswahl ungesichteter Beiträge unterstützt. Endgültig dynamisiert werden USENET-Kommunikationen dadurch, daß sie nur eine begrenzte Zeit auf den Servern zur Verfügung stehen und dann automatisch gelöscht werden.

5.2 Autopoiesis im USENET

Alles oben Beschriebene unterstützt den USENET-Nutzer bei der Auswahl ihn interessierender Artikel, es ermöglicht die interessengeleitete Selektion aus einem riesigen Informationsangebot.108 Auch wenn die passive Nutzung bereits informativ sein kann, ist das USENET jedoch angewiesen auf die aktive Beteiligung seiner Nutzer, die damit an einem Kommunikationssystem partizipieren, das auf vielfältige Weise das ebenfalls interessengeleitete Kommunikationsbedürfnis dieser Nutzer für die Aufrechterhaltung seiner Struktur und Funktionsweise nutzt. Meines Erachtens handelt es sich um einen selbstorganisierenden Kommunikationsraum, der seine Struktur aufgrund eines autopoietischen Prozesses erhält und bei Bedarf dem Kommunikationsbedürfnis seiner Nutzer anpaßt. Er besteht aus Kommunikationen, die an Kommunikationen innerhalb des sozialen Systems anschließen, eben dadurch, daß Postings innerhalb von Newsgroups im Anschluß an Postings geschehen und im offensichtlichsten Fall zu einem langen Thread aus Dutzenden von Beiträgen werden.

Das plötzliche Auftauchen eines Threads aufgrund eines aktuellen Ereignisses, einer komplexen Anfrage oder auch einer provokativen Meinungsäußerung ähnelt dabei dem Entstehen und Verschwinden von Interaktionssystemen aufgrund von zufälligen oder gewollten Begegnungen von Menschen, aber mehr als Ähnlichkeit läßt sich hier auch nicht entdecken. Der Thread ist nicht als soziales System zu fassen, dafür kommt er zu unverbindlich und kontingent zustande und erfüllt dabei nicht die Bedingungen, denen die direkte Kommunikation unter gegenseitiger Wahrnehmung genügt, weil er keine Grenze zwischen sich und den ihn umgebenden Kommunikationen konstruiert. Es gibt nur die Einheitlichkeit des Themas, das auch weiterentwickelt werden und schließlich völlig in Vergessenheit geraten kann (obwohl es noch im Header sichtbar ist) und daneben die Selbstbezüglichkeit im Sinne der Anschlußkommunikation, des Sichbeziehens auf vorher Geschriebenes.

Was Threads und Interaktionssysteme aber gemeinsam haben, das ist ihre Einbettung in ein übergeordnetes und umgreifendes System, an dessen Reproduktion sie mitwirken und auf dessen Leistungen sie angewiesen sind. Interaktionssysteme entstehen innerhalb des Gesellschaftssystems und vollziehen es - Threads sind Teile des Kommunikationssystems USENET auf einer intermediären Ebene zwischen dauerhafter struktureller Ordnung und der Dynamik der Kommunikationsereignisse. Sie erleichtern den Anschluß von Kommunikation, weil schon der kleinste vorstellbare Thread aus zwei Kommunikationen, Frage und Antwort zum Beispiel, zusätzlich zum Inhalt der Kommunikationen noch die Eignung (zumindest der letzten) dieser Kommunikationen für weitere Anschlüsse innerhalb des USENET mitkommuniziert. Das ist deshalb so wichtig, weil diese mitkommunizierte Information Anhaltspunkte für die Existenz einer Unterscheidung liefert, und zwar der Unterscheidung zwischen einer USENET-tauglichen Kommunikation und einer untauglichen, nicht anschlußfähigen Kommunikation.

5.3 Relevanz als Code

Meine erste These zum USENET ist nun, daß jede Kommunikation im USENET anhand einer Differenz binär codiert wird, die ich als ,,Relevanz/Irrelevanz" bezeichnen will, und dieser binäre Code entscheidet über die Anschlußfähigkeit jeder Kommunikation im USENET.109 ,,Relevanz" ist in diesem Kontext nicht wörtlich zu nehmen, selbst wenn der Begriff im Folgenden ohne Anführungszeichen verwendet wird. Es handelt sich vielmehr um eine Differenz, die erst noch anhand einer Analyse der Kommunikationen im USENET zu (er-)fassen ist.

Dabei sind aktive Kommunikationen im USENET, also ,,Postings", die einzigen Ereignisse, die als Operationen eines sozialen Systems in Frage kommen, da Lese- oder Anzeige-Vorgänge auf der Server-Seite nicht registriert werden, also nicht beobachtbar sind, und die Datenübertragungen zwischen Servern auch nicht für die Auslösung neuer Operationen sorgen können, sondern nur der Verbreitung der bereits Teil des USENET gewordenen Artikel dienen. Der Operationsmodus des USENET findet sich auf der Ebene der aktiven Beteiligung durch Einspeisung einer Kommunikation in das Netz, das autonom für die weitere Verbreitung sorgt, und dabei wird Wahrnehmung und der Lektüre des Inhalts durch möglichst viele an ihm interessierte Rezipienten zwar vermutet, aber die Bestätigung erfolgt auf dem Weg der Anschlußkommunikation.

Wird nun (wie bei jeder Kommunikation unter struktureller Kopplung mit einem psychischen System, das die Technik benutzt) ein neuer Artikel ,,gepostet", so geschieht das anhand der Berücksichtigung des Relevanz-Kriteriums in einer geeigneten Newsgroup,110 wobei über deren Eignung vorher darin gepostete Artikel Auskunft geben.111 Oder der Artikel wird als Antwort unter Übernahme des Betreffs (,,Subject") bzw. als Diskussionsbeitrag im Zusammenhang eines Threads gepostet, was eine direkte Übernahme des dort definierten, noch engeren Kontexts für die Relevanz-Behauptung bedeutet. Wenn die Relevanzbedingung erfüllt ist, dann kann es zur Anschlußkommunikation kommen, was meist bedeutet, daß Antworten und weitere Diskussionsbeiträge folgen. Aber selbst in jenem Grenzfall eines relevanten Postings ohne direkte Anschlußkommunikation, ist das Posting als erfolgreiche Kommunikation Teil des operativen Prozesses, wie ich weiter unten anhand der Selbstbeobachtung des USENET erklären werde.

Wird dagegen die Relevanzbedingung von einem Posting nicht erfüllt, so wird diese Kommunikation von den Lesern der betroffenen Newsgroup als sogenanntes ,,Rauschen" (,,Noise")112 wahrgenommen. Rauschen steht für Artikel ohne Informationswert für den Leser, und es ist unter Erfüllung der Relevanzbedingung ein subjektives Phänomen, das nur von den Informationswünschen des Benutzers abhängt. Es kann zur Verminderung oder Aufgabe der Nutzung einer Newsgroup oder des ganzen Dienstes führen, aber es ist im USENET allgegenwärtig und als Grundproblem dieser Kommunikationsform zu werten. Ein negativ relevantes Posting dagegen wird von allen Benutzern als Belästigung empfunden, und kann deshalb nicht ignoriert werden. In einem sozialen System wirkt der negative Wert des Anschlußoperators als Reflexionswert und führt mit gewisser Wahrscheinlichkeit zum Anschluß von Metakommunikation. Innerhalb des USENET existiert eine breite Palette von Optionen, wie das Kommunikationssystem darauf reagieren kann. So könnte in einem weiteren Posting die Irrelevanz erklärt und begründet, die Funktionsfähigkeit der Newsgroup in Frage gestellt oder im Extremfall die Entfernung des Artikels unter Rückgriff auf eine Steuernachricht (ein ,,Cancel") gefordert werden.113

Eine Möglichkeit, um die Relevanz von Postings in einer Newsgroup zu sichern, ist nun die Einführung eines Moderator-Amtes. Wird eine Newsgroup als ,,moderiert" deklariert, so ist technisch sichergestellt, daß jedes Posting erst per E-Mail an einen menschlichen Moderator weitergeleitet wird, der über die Relevanz des Postings entscheidet, bevor er es an die Newsgroup weiterleitet. Diese Aufgabe ist oft sehr zeitaufwendig und stellt dabei hohe Ansprüche an die Kompetenz des Moderators. Er soll über die Zulässigkeit eines Postings nicht aufgrund persönlicher Vorlieben und Interessen entscheiden, sondern unter Übernahme der Newsgroup-Perspektive aufgrund der Relevanz-Unterscheidung. Aus diesem Grund existieren für jede moderierte Newsgroup Moderations-Richtlinien (,,Moderating-Guidelines"), auf deren Grundlage der Moderator arbeitet. Hält er diese Richtlinien nicht ein, so besteht die Möglichkeit seiner Abwahl, erweisen sich die Richtlinien dagegen als untauglich, können sie geändert werden. Diese Richtlinien sind also ein Beispiel für Programme im Sinne der Systemtheorie, die insbesondere Funktionssysteme verwenden, um über die Entscheidung über Anschlußfähigkeit auf der Grundlage ihrer Leitdifferenz strukturelle Sicherheit zu erlangen.

5.4 Programme des USENET

Die Vermutung, daß das soziale System USENET eine Vielfalt von Programmen ausgebildet hat, die seinen operativen Prozeß strukturieren, ist nun so wichtig, daß ich sie wieder in Form einer These formulieren möchte:

Im Kommunikationssystem USENET erfolgt eine strukturelle Differenzierung durch die Herausbildung von Programmen, die über die Erfüllung der Leitdifferenz Relevanz/Irrelevanz durch einzelne Kommunikationen entscheiden.

Oben erwähnte Moderations-Richtlinien sind nur Beispiel, ein kleiner Teil der ,,Programmierung" des USENET. Die Mehrzahl der Newsgroups ist nicht moderiert, aber auch sie verfügen über Programme in Form sogenannter ,,Chartas"114. Eine Charta legt fest, welches Themenspektrum innerhalb der Newsgroup zulässig ist und welche Kommunikationsweisen erwünscht sind, sie definiert erst die Newsgroup, deren Bezeichnung nur einen Anhaltspunkt für das Spektrum zulässiger Kommunikationen gibt.

Newsgroups werden im USENET also auf der Ebene der Programme definiert, und bei jeder USENET-Kommunikation wird die Kenntnis dieser Programme unterstellt. Ein Posting hat deshalb eine ,,informierte Handlung"115 zu sein, der eine gewisse Zeit des ,,Mit-Lesens" und die Lektüre der Texte über die Kommunikationsregeln im USENET und der betreffenden Newsgroup vorausgeht. Auch die sogenannte ,,Netiquette"116, in der allgemeine Verhaltensregeln für die Kommunikation in elektronischen Netzen angegeben sind, wird so Teil der Programme im USENET, indem ihre Gültigkeit und das Wissen um sie vorausgesetzt wird. Die Voraussetzung ihrer Gültigkeit heißt jedoch nicht, daß durch sie eine übergeordnete Norm definiert wird, der eine untergeordnete Charta genügen müßte. Im Gegenteil kann eine Charta explizit bestimmte Regeln der Netiquette aufheben, um z.B. eine Newsgroup nur für Beschimpfungen zu schaffen (wie etwa ,,alt.flames").117

Obwohl es in beinahe jeder Newsgroup regelmäßig zu Meta-Kommunikation und auch zur Meta-Meta-Kommunikation über die Newsgroup betreffende Programme kommt, wird diese doch schnell als Rauschen wahrgenommen. Das führt zur Schaffung von explizit für Meta-Kommunikation und Diskussionen über Programme zuständigen Bereichen innerhalb des USENET, Bereiche der Selbstthematisierung, Selbstbeobachtung und Selbststeuerung, die ich im folgenden ,,Meta-Bereiche" nennen möchte.118 Unter anderem existieren etwa auch moderierte Newsgroups, in denen nur Neueinrichtungen und Löschungen von Newsgroups kommuniziert werden.119 Die endgültige, technische Umsetzung solcher Veränderungen der Gruppenstruktur nehmen zwar Newsserver-Betreiber vor, aber diese richten sich in ihrem Handeln nach den Ankündigungen in den entsprechenden Newsgroups, die auf diese Weise hohe Verbindlichkeit erhalten.120

Selbstverständlich werden besonders hohe Anforderungen an die Entscheidungen über Einrichtung oder Löschung von Newsgroups gestellt. Sie setzen etwa bei der Neueinrichtung einer Newsgroup einerseits eine fundierte Erwägung der Charta-Formulierung und der Verortung innerhalb der Gruppenstruktur durch die Namensgebung voraus, und andererseits in einem Maße Zustimmung durch die USENET-Nutzer (insbesondere natürlich die Nutzer der neuen Gruppe), daß eine besondere Art von Programmen nötig ist. Weder würde die Dekretierung durch den Moderator aufgrund von an ihn eingereichten Vorschlägen, noch eine Fundierung derartiger Entscheidungen auf den Ergebnissen von Diskussionen in dafür zuständigen Newsgroups ausreichen.121

Diese Diskussionen sind allerdings unverzichtbar, aber derartige Entscheidungen werden immer auf der Grundlage eines mehrstufigen Abstimmungsverfahrens getroffen. Dieses Verfahren ist gekennzeichnet durch die Vorstellung von Vorschlägen, die innerhalb genau festgelegter zeitlicher Grenzen diskutiert werden, abgeändert werden können, und für die Mindestgrenzen für Wahlbeteiligung und zustimmende Stimmen gelten.122 Die Beteiligung bei diesen Abstimmungen ist zwar relativ gering,123 aber immer noch höher als bei den vorhergehenden Diskussionen. Dies wird damit gerechtfertigt, daß hier ein besonders aktiver Teil der USENET-,,Community" mitwirkt, der ein entsprechendes Hintergrundwissen besitzt, und sich besonders für ein effektives Funktionieren des USENET einsetzt.

Trotzdem ist die Möglichkeit zur Beteiligung nicht an die Übernahme von Ämtern (etwa als Moderator oder Newsserver-Betreiber) geknüpft, sondern setzt nur ein Interesse an der Selbststeuerung des USENET voraus. Dabei ist allein schon der Zeitaufwand für das lesende Verfolgen der Diskussionen nicht zu unterschätzen und die schiere Zahl der Abstimmungen grenzt den Kreis der Beteiligten auf die besonders Engagierten ein. Argumentiert wird dabei nicht auf der Grundlage von Interesse an oder Vorliebe für ein bestimmtes Thema, sondern eben wieder auf der Grundlage der Sicherung von Anschlußkommunikation unter Gültigkeit der Relevanz-Bedingung. Die Gruppenstruktur soll eine eindeutige thematische Zuordnung zu einer bestimmten Newsgroup erlauben, es werden Belege für die Erwartung einer ausreichenden Zahl von Postings verlangt, die Charta muß möglichst eindeutig formuliert sein, und wird ein Moderator für die neue Newsgroup vorgeschlagen, so darf er weder eine im USENET völlig unbekannte, noch eine bereits negativ durch Regelverletzungen aufgefallene Person sein.

Mit der Betrachtung der Selbstorganisation des USENET auf der Ebene der Schaffung und Anwendung von Wahlregeln als Programmierung der Meta-Bereiche ist diese Analyse an einem Endpunkt gelangt, an dem nur noch Selbstbezüglichkeit auf der Grundlage des Selbstbezugs wirkt. Fast erscheint der Nachtrag überflüssig, daß natürlich auch die Wahlregeln durch Abstimmungen legitimiert werden. An keinem Punkt verläßt das Kommunikationssystem dabei den Gültigkeitsbereich der Relevanz-Unterscheidung. Es schafft Programme, um Kommunikationen auf Relevanz überprüfen zu können, kommuniziert relevanz-codiert über Programme und führt mit den Wahlregeln Meta-Programme ein, die den durch den Rückgriff auf Relevanz zur Sicherung von Relevanz entstehenden Regreß auflösen, indem sie ihn auf eine basale Operation zurückführen:

Das Wahlergebnis124 folgt auf einen Wahlaufruf125, und es ist nur konsequent, wenn dieses Posting jede einzelne Stimme und deren Urheber nennt und so Wahlverhalten an Diskussionsverhalten bindet.

5.5 Operative Schließung, Grenzziehung und strukturelle Kopplungen

Eine weitere ,,starke" Forderung an ein soziales System ist operative Geschlossenheit. Ein autopoietisches System muß in der Lage sein, seine Grenze kommunikativ anhand seiner Leitdifferenz zu konstruieren und Umweltereignisse wirksam vom operativen Prozeß auszuschließen. Das setzt voraus, daß das System sich selbst auf der Grundlage seines Operationsmodus organisiert, wie eben für das USENET bereits nachgewiesen wurde. Deshalb wird die Suche nach Belegen für die operative Schließung des USENET zuerst bei der Anwendbarkeit der Relevanz-Unterscheidung ansetzen.

Grundsätzlich sind nur Kommunikationen für die Anwendung der USENET-konstruierten Relevanz tauglich, die in der Form einer elektronischen Nachricht vorliegen. Der Inhalt dieser Nachricht ist nun nicht einmal medial auf eine sprachliche Äußerung in Schriftform festgelegt, sondern er kann, wird er nach den entsprechenden technischen Standards codiert, auch ein Bild, ein Klang oder ein Computerprogramm sein. Für die Verbreitung per USENET eignet sich jedes digitalisierte Informationsobjekt, wenn es als elektronische Nachricht codiert wird.

Das reicht jedoch für die Anwendung der Relevanz-Unterscheidung noch nicht aus. Im einfachsten Fall wird die Anschlußfähigkeit von Kommunikation (und das gilt auch für den einfachsten Fall einer elektronischen Nachricht, einer E-Mail) durch die Mitkommunikation eines Adressaten ermöglicht. Diesem Adressaten wird dann die Vornahme einer Relevanz-Entscheidung überlassen, die jeder Entscheidung über die Art der Anschlußkommunikation vorangeht. Ganz egal, wie er sich entscheidet, ob er mit Ignorieren, Verärgerung, Verständnis oder Interesse reagiert, muß das psychische System des Adressaten vorher unterschieden haben, ob es von dieser Kommunikation betroffen ist. Anstelle eines Adressaten muß bei einer USENET-tauglichen elektronischen Kommunikation ein Relevanz-Bezug vorhanden sein, wobei sie sich an alle Adressaten mit der Bereitschaft zur Übernahme dieses Relevanz-Bezugs richtet. An die Stelle des Adressaten tritt also der Relevanz-Bezug, die Kommunikation darf sich nicht (nur) an eine bestimmte Person richten, um die Inklusion aller an der Kommunikation Interessierten zu ermöglichen; und diese kann durch das USENET geschehen, wenn der Relevanz-Bezug im USENET strukturell, also aufgrund von Programmen nachvollzogen werden kann.

Im einfachsten Fall wird dieser Relevanz-Bezug durch den Anschluß an eine bestimmte USENET-Kommunikation in einer bestimmten Newsgroup erfolgen, technisch wird dies dann im Header des neuen Artikels angegeben. Auch wenn das Posting als neue Nachricht mit einem neuen Betreff aufgrund der Rezeption vorheriger Artikel entsteht, wird es technisch einfach dieser Newsgroup zugeordnet und damit Teil des sozialen Systems. Interessanter ist der Fall eines psychischen Systems, das eine relevanz-kodierte Kommunikation intendiert, und dann im USENET auf die Suche nach einer passenden Newsgroup geht. Findet es innerhalb der programmierten Struktur keinen ,,Relevanz-Bereich"126, in dem sich seine Kommunikation einfügt, oder erscheint ihm dieser zu weit gefaßt, um einen viel spezielleren Bezug sinnvoll aufnehmen zu können, so wird es auf ein Posting verzichten. Das USENET vermag also in diesem Fall über seine strukturelle Differenzierung in Newsgroups Einfluß darauf zu nehmen, wie stark seine Kommunikation von seiner Umwelt angeregt wird, es legt dadurch strukturelle Kopplungen fest.

Tatsächlich ist es aber nun so, daß die Entwicklung des USENET von einer immer stärkeren strukturellen Differenzierung und der dadurch erfolgenden Steigerung seiner Komplexität geprägt ist. Die Zahl der Newsgroups wächst unaufhörlich, obwohl auch Programme für die Löschung von Gruppen existieren und angewandt werden, und ihre hierarchische Anordnung wird immer komplexer. Diese Entwicklung ist getragen von einem unaufhörlichen Anwachsen der Zahl der Kommunikationen im USENET, die nur durch eine weitere Verkleinerung und Spezialisierung der Relevanz-Bereiche der Newsgroups aufgefangen werden kann, um die Anschlußfähigkeit dieser Kommunikationen im dynamischen Operieren zu sichern.

Das USENET zieht dabei keine thematische oder wie auch immer geartete Grenze, die bestimmte Relevanz-Bezüge ausschließt. Aufgrund seines Operationsmodus verschafft es sich im wachsenden Maße Möglichkeiten, Relevanz-Bezüge so zu ordnen, daß sie anschlußfähig sind und überläßt keinen Relevanz-Bezug der Umwelt. Das muß es auch, weil es aufgrund seiner technischen Basis nicht in der Lage ist, irgendeine Kommunikation, die in USENET-tauglicher Form eine relevante Newsgroup mitnennt, auszuschließen. Bestimmte Newsgroups mögen moderiert sein oder in der elektronischen Nachricht wird eine nicht existente Newsgroup genannt, aber im einen Fall existiert eine kommunikativ überprüfbare Zugangsschwelle, im anderen ein technisches Problem, immer jedoch gibt es mindestens eine Newsgroup, von der die Kommunikation nicht ausgeschlossen werden kann. Nicht ein Sender, sondern die Kommunikation selbst weist sich als Teil des USENET aus, indem sie sich auf Relevanz bezieht.

Einen interessanten Sonderfall stellt nun der strukturelle Nachvollzug eines ursprünglich nicht dem USENET entstammenden Relevanz-Bereiches dar. Hier wird besonders deutlich, auf welche Weise das System über seine Grenze bestimmt. Es existieren nämlich im Bereich des Internets eine Vielzahl von Kommunikationen, die USENET-tauglich wären, aber nicht dem USENET zuzuordnen sind. Es handelt sich um Kommunikation auf der Grundlage von offen zugänglichen Mailing-Lists, die sowohl die Form einer elektronischen Nachricht verwendet, als auch relevanz-codiert ist, weil sie immer eine Mailing-List addressiert und sich ihr zuordnet, und diese zeichnen sich ähnlich wie Newsgroups durch die Festlegung eines Relevanz-Bereiches und Zugänglichkeit für jeden Interessierten aus.

Diese Voraussetzungen erlauben die Übernahme derartiger Kommunikationen in das USENET, einfach durch die Neueinrichtung einer Newsgroup mit entsprechendem Programm, und die Entscheidung für eine dauerhafte, technisch realisierbare Übertragung der Kommunikationen aus der Mailing-List in die Newsgroup und umgekehrt. Dies setzt zwar in der Regel das Einverständnis der Nutzer der Mailing-List voraus, ist aber nur innerhalb des USENET kontrollierbar. Jeder Teilnehmer der Mailing-List könnte auf eigene Faust eine Newsgroup einrichten oder auch unter Verwendung einer schon existerenden Gruppe die Kommunikationen zwischen USENET und Mailing-List austauschen, solange die Mailing-List nicht ihre Offenheit aufgibt und den Relevanz-Bereich durch die Beschränkung auf eine geschlossene Benutzergruppe einschränkt, wodurch Relevanz/Irrelevanz zur Zweitcodierung nach der Mitgliedschaft degradiert würde.

Die bisher beschriebenen Meta-Programme zielen auf eine besonders stabile und effektive Differenzierung der Gruppenstruktur ab, wobei sie auf Vorannahmen über die Zahl der Postings und ihr Datenvolumen, das technisch bewältigt werden muß, angewiesen sind. Diese Informationen können bei bereits existierenden Newsgroups der monatlich veröffentlichten Newsgroup-Statistik127 entnommen werden, ansonsten beruhen sie auf (kommunizierten) Schätzungen. Der durch die zur Newsgroup gehörenden Programme festgelegte Relevanz-Bereich muß auf dieser Grundlage austariert werden, um Übersichtlichkeit und Dynamik der Kommunikationen zu sichern.

Dabei kommt erneut der Löschungs-Mechanismus in den Blick: Das hohe Datenvolumen der USENET-Postings macht eine regelmäßige Löschung anhand des Entstehungsdatums unumgänglich. Diese Zeitspanne entscheidet darüber, wie häufig eine Gruppe gelesen (oder zumindest abgerufen und gespeichert) werden muß, um keine Kommunikation zu übersehen, und wird von den Serverbetreibern festgelegt. Diese orientieren sich dabei jedoch an den Differenzierungsleistungen des Systems, es handelt sich wieder um eine strukturelle Kopplung: Besonders lange werden jene USENET-Bereiche vorrätig gehalten, die die höchste strukturelle Differenzierung aufzuweisen haben, bei denen aufwendige Abstimmungsverfahren und Selbstbeobachtung im dazugehörigen Meta-Bereich eine effektive Funktionsweise vermuten lassen. Das USENET stellt den strukturell mit ihm gekoppelten Betreiberorganisationen die für eine technisch effiziente Serververwaltung nötigen Informationen zur Verfügung, und im Gegenzug regt die durch sie durchgeführte Löschung das dynamische Prozessieren des USENET immer wieder neu an.128

Neben diesen Bereichen, die ab hier als ,,Kernbereiche" bezeichnet werden sollen, und auf die sich die bisherige Analyse bezog, existieren jedoch auch Randbereiche, die nach kürzerer Zeit gelöscht und nicht einmal auf allen News-Servern verbreitet werden. Diese sogenannten ,,Alternative(alt)"-Hierarchien129 zeichnen sich durch höhere Anregbarkeit aus. Prinzipiell kann dort jederzeit von jedem eine neue Newsgroup eingerichtet werden, es ist jedoch Usus, zuerst in einer für die Kommunikation über Programme geschaffenen Newsgroup130 nach Einwänden zu fragen und eine eventuell nötige Diskussion abzuwarten.131 Durch die Existenz dieser Randbereiche mit geringerer struktureller Stabilität ist es dem USENET möglich, neue Programme zu testen, bevor sie in die Kernbereiche übernommen werden. Gleichzeitig dienen sie der Aufnahme von kontroversen oder auch besonders umfangreichen Postings.132

Neben dieser vertikalen Differenzierung in Rand-, Kern- und Meta-Bereiche nach dem Grad an struktureller Selbstregulierung existiert nun auch eine horizontale Differenzierung in verschiedene ,,Top-Level-Hierarchien" (TLHs). Ursprünglich existierten nach der Einführung einer Differenzierung in eine Mehrzahl von TLHs mit dem sogenannten ,,Great Renaming" 1986/87133 nur weltweit verbreitete, englischsprachige Themen-Hierarchien wie ,,bionet", ,,comp", ,,humanities" etc. und natürlich ,,alt" als Randbereich des USENET, die auch heute noch am meisten genutzt werden. Bald wurden jedoch auch anderssprachliche TLHs wie etwa ,,de" für die deutschsprachigen Länder eingeführt. Diese werden zwar ebenfalls weltweit verbreitet, aber eher regional oder auch von Muttersprachlern in anderen Regionen benutzt. Sie lehnen sich in ihrer Selbstorganisation eng an die der ,,großen" USENET-Bereiche an und übernehmen seine Programme, soweit das sinnvoll ist. Dies betrifft auch die Gruppenstruktur, welche jedoch dem geringeren Artikelaufkommen angepaßt werden muß. Gerade diese strukturelle Anlehnung, die Selbstorganisation innerhalb der TLH voraussetzt, begründet dann die Zugehörigkeit einer neu eingeführten TLH zum sozialen System USENET, und diese ermöglicht ihr den Rückgriff auf die von diesem System aufrechterhaltenen strukturellen Kopplungen, insbesondere jene mit den Server-Betreibern.

Letzteres deutet bereits an, daß sich mittlerweile auch Kommunikationen des technischen Verbreitungsmediums USENET bedienen, die nicht als Teil des sozialen Systems betrachtet werden können. Ähnlich wie bei nicht in das USENET eingespeisten Mailing-Lists wird auch in einigen neueren TLHs relevanz-codiert in elektronischer Form kommuniziert, und diese Kommunikation wird sogar in einer hierarchischen Gruppenstruktur verortet und auf USENET-spezifische technische Art verbreitet. Ein Beispiel dafür ist die ,,microsoft"-Hierarchie, und daran läßt sich sehr leicht der Unterschied zur autopoietischen Funktionsweise des sozialen Systems erkennen. Hier bedient sich eine weltweit operierende Organisation eines weltweiten Verbreitungsmediums für Zwecke des Kunden-Service. In der Nutzungsweise lehnt sie sich dabei eng an das soziale System an, und die strukturelle Ordnung basiert auf abgeleiteten Prinzipien, aber sie wird allopoietisch vom Wirtschaftsunternehmen ,,Microsoft" festgelegt. Diese Entwicklung mag als Beleg für die Reife und Angemessenheit der vom sozialen System USENET ausdifferenzierten Struktur und Programmierung dienen, und gleichzeitig für die betroffenen Relevanzbereiche als Konkurrenz wirken. Aber der evolutionäre Druck nimmt die andere Richtung: Immer dann, wenn die unter der Führung einer externen Organisation betriebene Hierarchie an Tauglichkeit für relevanz-codierte Kommunikation verliert, kann die Kommunikation in autopoietische USENET-Bereiche ausweichen, und so eine evolutionäre Anpassung erzwingen.

Solange also Hierarchien allopoietisch strukturiert sind, handelt es sich um nicht dem sozialen System zuzurechnende parasitäre Kommunikationen, die allerdings - technisch völlig unproblematisch - jederzeit auf dem Weg der Einrichtung von Newsgroups und technischer oder sozialer Umleitung in die Autopoiesis mit einbezogen werden können. Das setzt natürlich eine die Selektion von Strukturen für relevanz-codierte Kommunikation betreffende evolutionäre Überlegenheit des autopoietischen USENET voraus.

5.6 Funktionalität und Perspektiven

Abschließend sei noch versucht, die Art der Kommunikationen im USENET einzugrenzen, und ich schließe dabei an das am Ende des Kapitels über das WWW Gesagte an. Die Weite dieses Kommunikationsspektrums mag dabei überraschen. Es handelt sich nicht etwa nur um Neuigkeiten (wie der Name Newsgroup suggeriert) oder praktische Informationen, sondern auch um themenzentrierte Diskussionen aller Art und sozialen Austausch über persönliche Interessen oder Probleme.134 Kurz gesagt: Es geht um Kommunikationen, wie sie sich bisher vor allem in Interaktionssituationen finden, aber nur selten in adäquater Form in den Massenmedien. Für diese Kommunikationen ist zwar kein persönliches Kennen des Kommunikationspartners erforderlich, aber gleichzeitig interessieren sich zu wenige dafür, um eine massenmediale Verbreitung zu rechtfertigen. Daß den Kommunikationen im USENET Wert zugebilligt wird, obwohl prinzipiell jeder Alles äußern kann, beruht auf der Kontrolle durch die relevanz-codierte Operation des Postens. An die Stelle von auf Organisationen des Massenmediensystems oder auf persönlichem Kennen beruhendem Vertrauen als Grundlage für Selektionssicherheit tritt im USENET sein autopoietischer Prozeß.

So wertvoll dieses Kommunikationsleistungen den Teilnehmern des USENET scheinen mögen, läßt sich aus der Perspektive der Gesellschaft betrachtet bei einem in seiner Bedeutung noch so begrenzten Phänomen schwerlich eine gesellschaftliche Leistung entdecken, die man als Funktion identifizieren könnte. Was das USENET leistet, ist die räumliche, soziale und materielle Entkopplung von relevanz-codierbarer Kommunikation. Es ähnelt damit eher einem Marktplatz für Kommunikationen als einer gesellschaftsweiten Öffentlichkeit und ist insofern ein Korrelat von Individualisierungsprozessen, als es den Menschen die Möglichkeiten für Kommunikationen zurückgibt, die durch diese Prozesse verlorengingen oder nur noch in verallgemeinerter und nivellierter Form in den Massenmedien zu finden waren.

Das läßt viele Entwicklungen vorstellbar erscheinen: Das USENET könnte etwa zur Kontrolle der Selektionen des Massenmediensystems im Sinne einer funktionalen Ent-Täuschung dienen, oder auch nur eine Übergangserscheinug sein, dessen Funktion die Ausübung von evolutionärem Druck ist, um schließlich einer weiterentwickelten Fassung des etablierten Funktionssystems zu weichen. Dieses ,,neue Mediensystem" müßte allerdings unter Verwendung des Internets oder dem, was daraus entstehen mag, ungleich größere Selektionsaufgaben als das bisherige bewältigen, und vielleicht ähnelt es mehr einem belebten Marktplatz als einer Ansammlung von Schaufenstern, an das es gegenwärtig nicht selten erinnert.


98 vgl. Taprogge, Ralf: Internet-Nutzung durch Studierende geistes- und sozialwissenschaftlicher Studiengänge in Deutschland. Eine Studie zur Nutzung elektronischer Kommunikationsnetze. 1996. Im WWW am 19.6.97 unter http://www.uni-muenster.de/Publizistik/MAG3/ifp/taprogg/ . Kap. 3.2.2. Usenet News-Groups

99 Diese Funktionsweise wird als ,,Store-and-Forward"-Netz bezeichnet. Das verwendete Protokoll basiert auf UUCPl (,,Unix to Unix Copy Protoc.htmol"), das Bestandteil des im wissenschaftlichen Bereich weitverbreiteten Betriebssystems ,,UNIX" war. In den 80er Jahren wurde für die Übertragung via Internet NNTP (,,Net News Transport Protoc.htmol") eingeführt.

100 Obwohl sich diese Funktionsweise durch Dezentralität auszeichnet, so bilden sich doch ,,zentrale" Server heraus, über die viele Beiträge weitergeleitet werden, während Randsysteme nur mit einem weiteren Server kommunizieren.

101 ,,Posting" ist abgeleitet vom Verb ,,to post" (oder auch neudeutsch ,,posten"), das für den Akt der Veröffentlichung eines Artikels im USENET oder in Mailing-Lists steht.

102 Die Technik der in den 80er Jahren entstandenen ,,Mailbox"-Netze, die erstmals erschwingliche Datenfernübertragung für Privatpersonen ermöglichten, beruht auf einer ähnlichen oder abgeleiteten Funktionsweise. Betrieben werden diese vor allem von Privatpersonen als Hobby oder nichtkommerziellen Vereinen (manchmal verbunden mit politischen Zielen).

103 Da die Menge der so erreichbaren eine Obermenge der durch das Internet verbundenen Computersysteme ist, wurde dafür von John Quaterman der Begriff ,,Matrix" eingeführt (vgl. Quatermann, John: The Matrix - Computer Networks & Conferencing Systems Worldwide. Burlington 1990). Dabei verhält sich die Matrix zum Internet als ihrem wichtigsten Teil parasitär: Da fast die gesamte Kommunikation in ihr auch in den Bereichen außerhalb des Internets via Internet abgewickelt wird, würde mit der Abschaltung des Internets auch der Rest der Matrix aufhören zu funktionieren - umgekehrt jedoch nicht.

104 vgl. S.

105 Ein (extremes) Beispiel wäre etwa ,,comp.sys.ibm.pc.hardware.chips". Aufgelöst lauten die einzelnen Selektionsschritte etwa: ,,computerrelevant", ,,betriebssystemspezifisch", ,,vom Hersteller IBM entwickelt", ,,den PC betreffend", ,,auf Hardware bezogen" (technisch-elektronische Bestandteile eines Computers), ,,es geht um Mikrochips". Der thematische Bezug läßt sich aber selten ohne Bezugnahme auf die weiteren auf derselben Hierarchiestufe stehenden Newsgroups klären, da sich grundsätzlich die Themenbereiche nicht überschneiden sollen, um eine sichere Zuordnung der Themen zu einer Newsgroup zu ermöglichen. Im genannten Beispiel schließt die Existenz von ,,comp.sys.ibm.pc.hardware.video" aus, daß Grafikchips diskutiert werden.

106 Der ,,Header" umfaßt darüberhinaus noch die E-Mail-Adresse des Autors sowie weitere absenderspezifische Angaben und eine Unzahl technischer Informationen einschließlich einer im USENET eindeutigen ,,Message-ID".

107 Das für den Zugang zum USENET verwendete Programm (,,Newsreader") erkennt Artikelbezüge anhand von expliziten Verweisen im Header der Artikel oder an identischen Betreffangaben, die bei einer Antwort nur durch Voranstellung von ,,Re:" (,,Reply") verändert werden.

108 Zur Zeit werden im USENET täglich 1.7 Gigabyte Daten verbreitet. Das entspricht der Datenmenge von ca. 850000 Schreibmaschinenseiten Text - oder 30000 Artikeln in der Länge des hier vorliegenden.

109 vgl. S. und für die Massenmedien S.

110 Da die Zuordnung von Postings zu Newsgroups anhand der im Header eingetragenen Gruppennamen erfolgt, kann man tatsächlich von Relevanz als einer Bedingung sprechen, der jedes Posting als Element in seiner Einheit genügen muß. Der Verweis auf eine Newsgroup ist notwendiger Bestandteil dieses Elementes.

111 Der Gruppenname selbst bietet nicht ausreichend Anhaltspunkte, insbesondere da jeder Artikel auch unter Berücksichtigung von davor geposteten einen gewissen neuen Informationswert besitzen soll.

112 In Diskussionen über den Nutzwert einer Newsgroup begegnet man auch dem der Hifi-Technik entlehnten Begriff ,,Signal-to-Noise-Ratio" (,,S/N-Ratio", dt. ,,Signal-Rauschabstand"), der das Verhältnis der die Relevanzbedingung erfüllenden gegenüber den aus der Sicht der Newsgroup irrelevanten Postings bezeichnet.

113 vgl. zu Sanktionsmöglichkeiten im USENET: Münch-Dalstein, Matthias: Rechtsprobleme des Internet. Regulierung und Selbstregulierung. 1996. Im WWW am 10.6.97 unter http://relux.rewi.hu-berlin.de/~matze/rdi . Kap. 1.B.I.

114 vgl. Anlage 2, 3 und 4

115 vgl. Ishii, Kei: Regularien im Internet. Über Strukturen eines Computervermittelten Kommunikationsmediums. 1995. Im WWW am 20.6.97 unter http://www.ig.cs.tu-berlin.de/DA/IR/reg-inet.rtf . S.73f

116 vgl. Heinau, Vera: Die Netiquette. 1996. Im WWW am 17.6.97 unter http://www.chemie.fu-berlin.de/outerspace/netnews/netiquette.html

117 Als ,,Flame" wird ein Artikel bezeichnet, der sich in unsachlicher oder sogar beschimpfender Weise über einen anderen Artikel oder dessen Autor äußert. Dies kann zu einer ausgedehnten Folge von antwortenden Flames führen, so daß ein Thread aus Flames entsteht. USENET-Teilnehmer sprechen in diesem Fall von einem sogenannten ,,Flame-War".

118 Für alle USENET-Hierarchien existieren entsprechende Subhierarchien. Für das englischsprachige USENET ist das news.admin.* (,,*" steht in vielen Betriebssystemen für beliebige Zeichenketten, hier für beliebige Gruppennamen), im deutschsprachigen de-USENET de.admin.*. Im Folgenden werden Beispiele aus dem deutschsprachigen Teil des USENET verwendet, dessen Newsgroup-Namen mit ,,de" beginnen.

119 Beispielsweise de.admin.news.announce für die de-Hierarchie. Das Amt des d.a.n.a.-Moderators ist die vielleicht bedeutenste Funktion, die eine Einzelperson innerhalb einer USENET-Hierarchie übernehmen kann.

120 Auf dieses Angewiesensein des USENET auf die technische Umsetzung durch die Betreiber und Systemverwalter von Newsservern werde ich weiter unten noch eingehenn (vgl. S.).

121 im de-USENET insbesondere in de.admin.news.groups

122 Die genauen Bezeichnungen sind ,,Request for Discussion" (RfD), üblich sind dabei mindestens zwei Aufrufe, und schließlich ein ,,Call for Votes" (CfV), der ebenfalls mehrmals ergehen kann. Zwischendurch können noch ,,Strawpolls" für die Erstellung von Meinungsbildern zum Einsatz kommen. (vgl. Henau, Vera: Wie man eine neue de-Newsgruppe einrichtet. Regeln von de.admin.news.announce. 1996. Im WWW am 17.6.97 unter http://www.chemie.fu-berlin.de/outerspace/netnews/neue-de-gruppe.html )

123 100 Stimmen werden selten erreicht, und die Mindestzahl von Ja-Stimmen für die Einrichtung einer Newsgroup ist 30 (vgl. Anlage 3).

124 vgl. Anlage 4

125 vgl. Anlage 3

126 Gemeint ist der Gültigkeitsbereich des Relevanz-Bezugs, wenn im Folgenden von ,,Relevanz-Bereich" die Rede ist.

127 wird in de.admin.lists veröffentlicht, vgl. Anlage 5

128 Im Gegenzug schafft sich das System ein Gedächtnis, indem Artikel erarbeitet werden, die in regelmäßigen zeitlichen Abständen neu verbreitet oder unter Rückgriff auf andere Dienste zugänglich gehalten werden. Um z.B. die ,,Informiertheit" der Nutzer überprüfen zu können existieren sogenannte ,,FAQs" (,,Frequently Asked Questions"), die häufig verlangte Informationen zusammenfassen, und so Rauschen durch sich-wiederholende Kommunikationen vermeiden sollen.

129 im de-USENET ist dies die Hierarchie de.alt.*

130 news://de.alt.admin

131 vgl. Heinau 1996b. Teil 10

132 Beispielsweise treffen auf die Verbreitung von und Diskussion über erotische Bilder beide Kriterien zu, und die entsprechenden Newsgroups finden sich nur in alt-Hierarchien (z.B. news://de.alt.binaries.pictures.female , ,,binaries" verweist dabei darauf, daß hier auch codierte Daten kommuniziert werden).

133 vgl. Hardy, Henry Edward: The History of the Net. 1993. Per FTP abrufbar unter ftp://umcc.umich.edu/pub/seraphim/doc/nethist8.txt . Kap. The ,,Great Renaming"

134 Wie weit dieses Spektrum wirklich ist, und wie sehr es noch von technischen und insbesondere computerspezifischen Themen dominiert wird, läßt sich anhand der als Anlage 6 abgedruckten Liste der Newsgroups in der de-Hierarchie erahnen.

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Steff Huber